Wir Menschen sind schon eine sehr seltsame Spezies. Wir entwickeln uns nur in Gruppen weiter und wählen dennoch am Liebsten die Isolation. Ich kann mich noch sehr gut an Zugfahrten in meiner Jugend erinnern, ich hatte dort einige Begegnungen, die sich mir tief eingeprägt und mich auch sicher ein Stück geformt haben. Da waren Gespräche, Diskussionen oder auch mal Auseinandersetzungen mit Menschen unterschiedlichen Alters und Gesellschaftsgruppen. Zugfahrten dauerten doppelt so lang, es ruckelte alles noch und es war im Sommer laut, weil ohne Klimaanlage, das Fenster meist geöffnet war. Hört sich an, wie aus Erzählungen alter Bücher, ist aber noch gar nicht lange her. Heute sitze ich im ICE in einem viel bequemeren Sitz mit über 30 Personen, von denen ich nichts mitbekomme. Das Smartphone (das ich auch liebe und nicht missen möchte) hat seinen Fluch der Isolation ausgebreitet. Es ist wie eine Ansammlung an Einzelzellen, nur halt mit Bespaßungsangebot. Früher konnte man sich auch in eine eigene Welt zurückziehen, durch ein mitgebrachtes Buch, einem auf dem Weg gekauften Magazin, Schlafen oder einem Walkman. Aber es gab immer Gespräche, an denen man teilnehmen oder zuhören konnte. Da wir Menschen sehr vielschichtig sind, konnten es sehr belanglose Gespräche sein oder man merkte schnell, dass der Andere ein völlig anderes Weltbild hatte. Aber ich glaube mit jedem Gespräch findet die Justierung unseres inneren Kompasses statt, egal ob wir hinterher uns bestätigt fühlen, dass wir auf dem richtigen Weg sind oder uns neue Blickwinkel zu kleinen Korrekturen führen. Dieses „an einander reiben“ fehlt uns in unserer heutigen Zeit. Seit der Idee des Web 2.0 soll im Internet die Interaktion hervorgehoben werden, leider hat das in meinen Augen nicht zu mehr Diskussionen geführt, denn eine Diskussion definiere ich aus meiner Sicht durch einen beidseitigen Energie- und Informationsfluss. Dieses Kriterium wird aber nur recht selten erfüllt, wenn dann meist in Foren und auch dort meist nur in geschlossenen, in denen Teilbereiche der Anonymität wegfallen und Vertrauen geschaffen wird. Gegenseitiges zuhören findet sonst meist nicht statt. Im Zeitalter von Bots, in denen wir schon mindestens drei Interaktionszyklen brauchen, um festzustellen, dass wir mit einer Maschine reden (und es gibt schon welche, denen man gar nicht mehr auf die Schliche kommt) verschärft sich diese Sachlage noch.
Die Wahl der Isolation, ist in meinen Augen begründet durch unsere eigene Unsicherheit. Wären wir in unserem Selbst sicherer und stabiler, bräuchten wir nicht die stetige Bestätigung, dass wir „richtig“ sind und würden uns mehr zutrauen andere Blickwinkel zuzulassen. Wir haben leider gelernt nach dem Ausgang von Diskussionen, Teilnehmer in Verlierer und Gewinner zu unterscheiden. Wir tragen ein schlechtes Gefühl mit uns rum, wenn wir nach einer Diskussion überzeugt wurden. Dabei müsste doch das Gegenteil der Fall sein: Wir müssten uns freuen, fähig zu sein uns weiterzuentwickeln, uns über die neuen Erkenntnisse freuen. Es ist ein Zeichen von Größe seinen Blickwinkel erweitern zu können und wir werden sicher damit nicht zu schlechteren Menschen. Weil wir aber diese Unsicherheit mit uns rumtragen, brauchen wir stetig eine Umgebung, die uns bestätigt und sagt dass wir richtig sind. Weil es eine Frage des Gefühls und nicht des Intellekts ist, passiert das auch den Regierungs- und Unternehmenschefs dieser Welt. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich all die Kritiker vom Leib halten und vermeintlich Gleichgesinnte um sich scharen. Da wir Menschen aber viel zu unterschiedlich sind, kann es keine „Gleichgesinnten“ geben, weswegen bei autokratischen Herrschern zum Schluss nur noch bedingungslose „Ja“-Sager übrig bleiben. Wir können darüber nicht urteilen, weil wir alle dieselben Fehler begehen. Über Filterblasen im Internet haben wir schon viel gelesen. Das Netz ist heute schlau genug uns nur noch mit ähnlich denkende zu konfrontieren, weil wir auf diese Art als Nutzer erhalten bleiben. Was meines Erachtens aber noch schlimmer ist, ist dass wir uns zu jedem Lebensbereich eine eigene Filterblase bilden können und tun. Politisch, Gesellschaftlich, Beruflich… Wir separieren damit die Themenbereiche unserer Mitmenschen solange, bis die schützende Vielschichtigkeit unserer Mitmenschen in passgenaue Gleichgesinnte umgeformt ist.
Wenn wir also etwas an dieser Isolation ändern wollen (und wir werden es tun müssen, wenn wir diese Welt für unsere Kinder retten wollen), müssen wir in meinen Augen bei uns selbst im Innern beginnen. Wir müssen unser Selbst stärken und wenn wir die Glaubenssätze über Bord geworfen haben, die uns einreden, dass wir nicht „richtig“ sind wenn wir uns weiterentwickeln, dann sollten wir unser Smartphone zur Seite legen und offen uns Gesprächspartner suchen, um das Geschenk eines offenen Dialogs zu empfangen.
In diesem Sinne suche ich mir jetzt jemand in diesem ICE und bin sehr gespannt, was mir widerfährt.
August 8, 2017