In Gemeinschaft Wachsen

Ideen, Gedanken und Beobachtungen als Anregung zum offenen Dialog

Technologie und Fortschritt

Ich möchte mit einer Beichte beginnen: Ich war einer der großen Befürworter von Web 2.0! Ich glaubte wirklich es ist eine tolle Idee, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, nicht mehr nur zu konsumieren, sondern zu interagieren. Ich war der festen Auffassung, dass es toll ist, wenn jeder sicher und anonym die Möglichkeit hat seine Meinung zu verbreiten und an der Diskussion teilzunehmen. Die Idee halte ich noch immer für grandios, nur was daraus geworden ist erschreckt mich. Ich lese schon seit Jahren keine Kommentare unter Artikel, weil es mich an der Menschheit zweifeln lässt. Es erschreckt mich, für wieviel Hass und Lügen die Anonymität genutzt wird. Es macht mich wütend, dass es nicht zu einer offeneren Diskussion geführt hat, sondern nur dazu dass die Menschen noch mehr dahinterher sind, alle anderen zu überzeugen. Ich komme gerade von der Web Summit in Lissabon, der größten Techmesse Europas. Ich durfte sehen wie weit die nächsten revolutionären Technologien schon sind und kann mir ungefähr vorstellen, was für gesellschaftliche Veränderungen damit einhergehen werden. Alle diese Technologien sind getrieben von guten Vorsätzen. Das ist leider kein Garant, dass die Auswirkungen ebenfalls positiv und gut für die Gesellschaft sind. Aber eine Technologie ist nie (!) gut oder schlecht. Es ist der Umgang und der Einsatz der darüber entscheidet. Ich möchte dazu ein kurzes Beispiel aus der Vergangenheit nennen, dass ich erst neulich in einer Sendung gesehen habe. Bevor die Verbreitung der Waschmaschine in den 1960ern stark zunahm, waren alle noch mit dem sehr aufwändigen und kräftezehrenden Waschen im Bottich beschäftigt. Die Technologie sparte viel Zeit ein. Trotzdem hat sich kein zeitlicher Gewinn zu heute gezeigt. Das liegt daran, dass gleichzeitig unsere Ansprüche an Hygiene und Reinlichkeit zugenommen haben, wir uns aber auch mehr Wäsche angeschafft haben. Unter dem Strich kann man sagen: Waschmaschinen haben dazu geführt, dass wir mehr billige Wäsche kaufen, weniger tragen und dafür mehr waschen, was wiederum bedeutet mehr Wasserverschmutzung und Energievergeudung. In der Theorie hätte es auch dazu führen können, dass Familien mehr Zeit miteinander verbringen – hat es aber nicht. Es ist ein bisschen wie Michael Ende in seiner Geschichte Momo prophezeit hat. Man kann keine Zeit sparen, diese wird nur von den grauen Herren verbraucht und steht nicht den Menschen selbst zur Verfügung. Tatsächlich haben wir theoretisch mehr Zeit als vor 50 Jahren, fühlen uns aber dennoch mehr gestresst und gehetzt. Auf der Web Summit gab es einige Roundtables, hochkarätig besetzt mit schon bekannten Entwicklern, aber auch die nächste Generation an Visionären. Ich war entsetzt, dass ihre Antworten auf Probleme, wie die Resultate, die bei Diskussionen in der Anonymität zu Tage treten, mit denselben Ideen beantwortet wurden. Es gab nur ein wir sollten Anonymität abschaffen oder wir brauchen mehr Anonymität. Alles in Allem eher eine Ratlosigkeit als wirklich neue Ansätze. Und das sind die gewesen, die aktiv die nächsten Jahre technologisch beeinflussen.

Ich persönlich bin dennoch Technik gläubig. Ich glaube wir können hier uns viel Hilfe schaffen, aber wenn wir nicht anfangen, Dinge die sich in der Entwicklung befinden (aktuell Künstliche Intelligenz, Blockchain etc. um nur einige Schlagworte zu nennen) und Dinge die bereits ihren Einfluss entfalten, zu hinterfragen und uns mit allen Auswirkungen auseinanderzusetzen, kommen wir nicht einen Schritt vorwärts. Ich hab in Lissabon eine zweite Veranstaltung besucht: „House of beautiful business“ . Das ist ein Think Tank gewesen, in dem sich Menschen zusammen verantwortungsvoll und schöpferisch den Herausforderungen stellten. Gemeinsam versuchten sie zu überlegen, wie man Wege findet, Menschen wieder in ein glückliches Leben zu führen. Welche Faktoren man ändern muss. Dabei ging es darum, dies nicht bei oberflächlichen Diskussionsrunden zu belassen, sondern gemeinsam konkrete Maßnahmen zu beschließen. Davon bräuchte es noch viel mehr. Das müssen wir gesellschaftlich (wie mit solchen Think Tanks) aber auch im ökonomischen Bereich. Firmen die vorne weg in der Entwicklung schwimmen, sollten Zeit und Geld investieren (z.B. durch Philosophen einstellen) um die Konsequenzen ihres Tuns mit zu beachten. Denn wir alle tragen eine große Verantwortung und können meines Erachtens nicht versuchen Probleme mit denselben Antworten zu lösen, die diese erst heraufbeschworen haben. Ich habe aktuell ein Bild im Kopf, von dem ich glaube es trifft ziemlich gut die Realität: wir sitzen alle im selben Auto und brettern den Abhang hinunter. Leider scheint der Fahrersitz leer zu sein und alle Insassen schauen entsetzt auf diesen leeren Fahrerstuhl. Alle diskutieren wie wild, wie wir jetzt agieren müssten, aber niemand scheint fähig zu sein, sich auf den Fahrersitz zu setzen und das Unglück zu verhindern. Es wird keine größere Macht kommen und uns helfen. Die größere Macht war schon längst da und hat uns alle Fähigkeiten gegeben, um uns selbst zu helfen!

Auch hier gilt wieder: Was im Großen funktionieren soll, muss auch im Kleinen stattfinden. Also lasst uns in unseren Arbeiten und Umgebung genau diese Diskussionen führen. Manchmal hilft ja einfach von bestimmten Technologien Abstand zu nehmen oder sie wirklich nur für gute Dinge zu nutzen… denn wir sind die Schöpfer von morgen!

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